Fragesteller: Sadhguru, worin liegt die Bedeutung, bestimmte Übungen vor Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang zu machen?

Sadhguru: Übungen wie Surya Namaskar und Shiva Namaskar sollten zu diesen Übergangszeiten stattfinden, in der Zeit der Dämmerung zwischen Nacht und Tag. Während der Sandhya Kalas, bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, ist alles im Fluss. Wenn du zu dieser Zeit praktizierst, ist deine Fähigkeit Begrenzungen zu überwinden besser, weil deine Lebensenergien in einem Zustand des Flusses sind. Das ist ein Aspekt davon.

Ist es heiß? Nicht die beste Zeit!

Ein weiterer Aspekt ist, dass alle diese Übungen eine gewisse Menge an Ushna erzeugen. Es gibt kein Äquivalent für das Wort „Ushna“ im Deutschen, aber es wird normalerweise mit „Wärme“ übersetzt. Wärme, nicht in Form von Temperatur, sondern als einer von drei Aspekten – die anderen sind Sheeta und Pitta –, die verschiedene Funktionen im menschlichen System steuern. Wenn du einen Überschuss an Ushna hast, oder mit anderen Worten, wenn dein Samat Prana hoch ist, fühlt sich dein Körper heiß an, aber wenn du deine Temperatur misst, ist sie normal. Ushna ist nicht so wie wenn man Fieber hat – es ist gefühlte Wärme.

Da sich Yoga im tropischen Klima Indiens entwickelt hat, haben wir immer gesagt, dass alle Yogaübungen vor 8:30 Uhr morgens oder nach 4:30 Uhr abends stattfinden müssen.

Samat Prana oder Samana Vayu ist für die Aufrechterhaltung der Körperwärme zuständig. Ein Yogi möchte den Körper immer etwas auf der wärmeren Seite halten, weil Wärme auch Intensität und Dynamik anzeigt. Wenn der Körper unter einen bestimmten Punkt abkühlt, erzeugt es Trägheit im System. Fast alle Übungen sind darauf ausgerichtet, dich in einen etwas höheren Bereich zu bringen als den, in dem die Menschen normalerweise leben. Ein höherer Bereich bedeutet nicht eine höhere Ebene des Stoffwechsels. Wenn der Stoffwechsel hoch wird, wirst du dich körperlich verausgaben.

Wenn sich deine Energien in einem höheren Bereich befinden, wird dein Körper in einer einfacheren Gangart funktionieren. Wir können dir das innerhalb von drei bis sechs Wochen beweisen – wenn du bestimmte Übungen machst und deine Energien auf ein bestimmtes Niveau bringst, werden sich deine physiologischen Faktoren beruhigen und in einer einfacheren Gangart ablaufen. Wenn deine Energien niedrig sind, neigt dein Körper dazu, eine höhere Gangart einzulegen um den Lebensprozess in Gang zu halten, wodurch das System erschöpft wird. Wenn deine Körperfunktionen mit einer bestimmten Geschwindigkeit ablaufen, wird dein Verstand verrückt, und vor allem wird es deine Lebensspanne verkürzen.

Wir sind uns bewusst, dass die Übungen das Ushna im System erhöhen werden. Wenn die Außentemperatur hoch ist und das Ushna über einen bestimmten Punkt hinaus ansteigt, wird dies Zellschäden verursachen. Deshalb sollen Yogaübungen immer in den kühleren Stunden des Tages gemacht werden. Zwischen Tag und Nacht gibt es einen Übergang, der die Reibung innerhalb des Systems verringert, und dadurch werden die Übungen weniger Ushna erzeugen. Da sich Yoga im tropischen Klima Indiens entwickelt hat, haben wir immer gesagt, dass alle Yogaübungen vor 8:30 Uhr morgens oder nach 4:00 oder 4:30 Uhr abends stattfinden müssen.

Übergangszeiten in Yoga & Meditation

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Die klassischen Sadhana-Zeiten im Yoga

Mit Yogaübungen versuchst du, dich neu zu formen. Du magst deine Eltern sehr schätzen und respektieren, aber du willst nicht so enden, wie sie dich gemacht haben, oder genau so wie sie sind. Du möchtest etwas anderes sein oder mehr. Wenn du dich nur psychologisch und emotional neu formst, wirst du irgendwann in deinem Leben zurückfallen. Es gibt viele Menschen, die als sie 18 waren sagten, „Auf gar keinen Fall“, und gegen ihre Eltern rebellierten, aber mit 45 gehen, sitzen, reden und verhalten sie sich wie sie, denn mentale Veränderungen gehen nur so weit.

Wenn du ein Geschöpf der Zukunft sein willst, ist es notwendig, die Grundlagen dessen, was du bist, neu zu formen. Genau das versuchen wir mit Yogaübungen zu tun.

Veränderungen in der Einstellung werden nicht von Dauer sein. Nach einiger Zeit, wenn sich die Lebenssituationen ändern und du weniger bewusst wirst, wirst du zurückfallen. Wenn du sagst, du bist so wie du bist, weil dein Vater so war oder weil es in deinen Genen liegt, dann sagst du, dass du ein Geschöpf der Vergangenheit bist. Wenn du ein Geschöpf der Zukunft sein willst, ist es notwendig, die Grundlagen dessen, was du bist, neu zu formen. Genau das versuchen wir mit Yogaübungen zu tun – wir wollen uns in etwas völlig anderes umformen.

Die beste Tageszeit dafür ist immer der Sandhya, wenn die Energien auf dem Planeten einen bestimmten Übergang durchlaufen und die Reibung innerhalb des Systems stark reduziert wird, wodurch die Umformung leichter geschehen kann. Es gibt noch andere Aspekte, aber das sind die beiden wesentlichsten Gründe, warum Yoga morgens und abends praktiziert wird.

Brahma Muhurta – Die beste Zeit für spirituellen Fortschritt

Wenn du auf der Suche nach drastischem spirituellen Fortschritt bist, musst du deine Yogaübungen vor Sonnenaufgang machen, was normalerweise bedeutet, dass du mit den Übungen in der Brahma Muhurta beginnst, das ist das letzte Viertel der Nacht – irgendwo zwischen 3:30 bis 5:30 oder 6:00 Uhr morgens, oder was auch immer die Zeit des Sonnenaufgangs ist. Zu diesem Zeitpunkt gibt es einen bestimmten Prozess, dessen du dir auf natürliche Weise bewusst werden wirst, wenn du deine Übungen auf eine bestimmte Art und Weise machst. Wenn du Yogasanas machst, wirst du, sobald sich deine Biologie an die Biologie des Planeten angepasst hat, jeden Morgen zwischen 3:20 und 3:40 Uhr von selbst aufwachen.

Die Brahma Muhurta ist die beste Zeit für dich um Übungen zu machen, wenn du Dimensionen kennenlernen willst, die wir als spirituell bezeichnen.

Dies ist kein Geständnis, aber es dürfte meine Ehre retten – als ich ein kleiner Junge war, und selbst als ich etwas älter wurde, konnte ich morgens einfach nicht aufwachen, egal was war. Eine stundenlange Anstrengung aller Familienmitglieder war nötig, um mich wach zu kriegen. Nach einiger Zeit hörten sie auf, nach mir zu rufen, weil ich ohnehin während all der Rufe geschlafen habe. Da auch das Schütteln nicht funktionierte, drängten sie mich, mich aufzusetzen – ich setzte mich auf und schlief wieder ein.

Dann würden sie mich aus dem Bett zerren. Meine Mutter tat Zahnpasta auf die Bürste und gab sie mir. Ich steckte sie mir in den Mund und döste weg. Nachdem ich mir die Zähne geputzt hatte, sagte sie: „Bade dich bevor du zur Schule gehst.“ Ich ging ins Badezimmer, setzte mich dort hin und schlief ein. Wenn ich einmal wach war, konnte man mich nicht aufhalten, aber mich wach zu kriegen war etwas anderes. Wenn mich niemand aufweckte, schlief ich bis zum Mittag. Nur wenn ich zu hungrig wurde, wachte ich auf – sonst würde mich nichts anderes aufwecken.

Ich habe im Alter von 11 Jahren angefangen Yoga zu üben, und nach etwa 12 bis 18 Monaten fing es an und ist seither immer so gewesen, dass wenn ich das erste Mal aufwache und auf die Uhr schaue, es immer kurz vor 3:40 ist. Ich kann mich entscheiden ob ich aufstehe oder mich wieder hinlege, je nachdem wann ich zu Bett gegangen bin, aber jeden Tag, egal in welcher Zeitzone ich mich befinde, bin ich zumindest für einen Moment zu dieser Zeit wach, denn sobald man bestimmte Dinge mit seinem System macht, ist die Biologie mit der Biologie des Planeten synchronisiert. 3:40 ist keine Zeit, die sich jemand ausgedacht hat – es gibt etwas im menschlichen System, das mit dem Planeten verbunden ist und das dich wach machen wird.

Brahma Muhurta ist die beste Zeit für dich um Übungen zu machen, wenn du deine physische Natur transzendieren oder Dimensionen kennenlernen willst, die wir als spirituell bezeichnen. Wenn du aber nur die körperliche Gesundheit im Auge hast, dann ist der Sandhya Kala um den Sonnenaufgang die beste Zeit, die Übungen zu machen.

Editor's Note: Auszug aus einem Vortrag von Sadhguru im Rahmen der 21-wöchigen Ausbildung zum Hatha-Yoga-Lehrer. Das Kursprogramm der Isha-Yogaschule bietet eine unvergleichliche Gelegenheit, ein tiefes Verständnis des yogischen Systems zu erlangen und die Fähigkeit zu erwerben, klassisches Hatha Yoga zu unterrichten.