Sadhguru wirft Licht auf das Muladhara Chakra, das die Grundlage des menschlichen Systems bildet, sowie auf die weitgehend obskure, mystische Wissenschaft des Kayakalpa, die mit dem Muladhara verwandt ist und einem Menschen scheinbar übermenschliche Fähigkeiten verleihen kann.

Sadhguru: Das Muladhara Chakra befindet sich am Damm (Perineum), dem Bereich zwischen der Afteröffnung und dem Geschlechtsorgan. Das ist das grundlegendste Chakra im Körper. Leider denken heute viele Menschen, dass es das niederste Chakra ist und es sich nicht lohnt, daran zu arbeiten. Mula-adhaar bedeutet Fundament. Das Muladhara Chakra ist das Fundament der physischen Struktur und des Energiekörpers. Ein stabiles Fundament zu haben ist sehr wichtig. Jeder, der denkt, das Fundament ist etwas, worum wir uns nicht kümmern müssen, gibt sich Illusionen hin.

Muladhara Chakra – Das Fundament ist entscheidend

Wenn du den menschlichen Körper – den Fötus – kurz nach der Empfängnis betrachtest, ist er nur ein kleiner Fleischball. Dieser kleine Fleischball hat sich langsam zu dem geformt, was er jetzt ist. Um sich in dieser speziellen Weise anzuordnen, gibt es eine Art Software, die man als Pranamaya Kosha oder Energiekörper bezeichnet. Der Energiekörper bildet sich zuerst und der physische Körper beginnt, sich darüber zu manifestieren. Wenn es irgendwelche Verzerrungen im Energiekörper gibt, werden sie sich auch im physischen Körper manifestieren.

Das Muladhara Chakra ist das Fundament der physischen Struktur und des Energiekörpers.

Es ist also wichtig, das Fundament zu stabilisieren. Bis das Muladhara stabilisiert ist, wird man Gesundheit, Wohlbefinden und ein Gefühl von Stabilität und Vollständigkeit nicht kennen. Diese Eigenschaften sind für einen Menschen essentiell, um Anstrengungen zu unternehmen, hoch hinauszukommen. Weder kannst du jemanden, dessen Beine wackelig sind dazu bringen, eine Leiter hochzuklettern, noch wird er dies wollen. Es braucht ein gewisses Grundvertrauen in den eigenen Körper und Geist, um auf effiziente und kompetente Weise durchs Leben zu gehen.

Wenn wir Yoga machen, fokussieren wir uns mehr auf das Muladhara als auf irgendetwas anderes, denn wenn man das stabilisiert, ist das Übrige einfach zu erzeugen. Wenn das Fundament des Gebäudes lose ist und wir das Gebäude aufrecht zu halten versuchen, wird es ein täglicher Zirkus sein.

Eine komplette Schule des Yoga hat sich aus dem Muladhara entwickelt – von der Art und Weise, wie man mit dem Körper umgeht, bis hin zum Erreichen der eigenen ultimativen Natur.

Genau das ist mit dem menschlichen Leben passiert – sich selbst jeden Tag in einem Zustand des Gleichgewichts und des Wohlbefindens zu halten, ist für die meisten Menschen ein regelrechter Zirkus. Wenn das Fundament instabil ist, ist Ängstlichkeit nur natürlich. Aber wenn dein Muladhara stabil ist, egal ob Leben oder Tod, du wirst stabil sein, weil dein Fundament gut ist und wir die anderen Dinge später reparieren können.

Muladhara Chakra und das Verlängern der eigenen Lebensspanne

Eine komplette Schule des Yoga hat sich aus dem Muladhara entwickelt – von der Art und Weise, wie man mit dem Körper umgeht, bis hin zum Erreichen der eigenen ultimativen Natur. Eine Dimension des Yoga, die mit dem Muladhara verbunden ist, nennt man Kayakalpa.

Bis das Muladhara nicht stabilisiert ist, wird man Gesundheit, Wohlbefinden und ein Gefühl von Stabilität und Vollständigkeit nicht kennen.

Kaya bedeutet Körper. Kalpa bedeutet im Grunde eine lange Zeitspanne – wir könnten es als „Äon“ übersetzen. Bei Kayakalpa geht es entweder darum, den Körper zu etablieren oder zu stabilisieren, oder seine Lebensspanne zu verlängern. Es gab viele Wesen, die Kayakalpa praktiziert und Hunderte von Jahren gelebt haben, weil sie die Kontrolle über den grundlegendsten Bestandteil des Systems übernahmen, nämlich das Element Erde. Es ist das Element Erde, das uns Substanz gibt.

Bei Kayakalpa geht es darum, Aspekte des Körpers, die normalerweise mit der Zeit verfallen, so zu stabilisieren, dass der Verfall zumindest bis zu einem Punkt verlangsamt wird, an dem es so aussieht, als wäre man alterslos und zeitlos, als hätte man einen Kaya, der ein Kalpa überdauert, das heißt einen Körper, der ein Äon lang anhält.

Es gab viele Wesen, die das getan haben, aber es erfordert einen enormen Arbeitsaufwand. Kayakalpa nutzt das Verständnis darüber, wie ein Fels strukturiert ist, was ihm die Integrität gibt, die ihn lange Zeitabschnitte überdauern lässt, und versucht, den menschlichen Körper dementsprechend zu gestalten.

Wenn dein Muladhara stabil ist, egal ob Leben oder Tod, du wirst stabil sein, weil dein Fundament gut ist und wir die anderen Dinge später reparieren können.

Mit anderen Worten, wenn du Kayakalpa praktizierst, wirst du wie ein Felsen. Wo ist der Sinn? Wir könnten eine Statue aus dir machen! Auf gesellschaftlicher Ebene, wenn du wie ein Felsen bist, kannst du deinen Lebensunterhalt verdienen und dich wie ein Übermensch verhalten; du kannst Menschen mit deinen Fähigkeiten beeindrucken. Manche werden von dir begeistert sein, weil du nicht stirbst. Manche werden frustriert sein, weil du nicht stirbst! Aber wir brauchen kein menschliches Wesen, das wie ein Felsen wird. Es gibt eine schöne Geschichte über diese Art von Sadhana.
Es lebte einmal im zwölften Jahrhundert in Karnataka ein großer Weiser, der als Allama Mahaprabhu bekannt war. Er wurde zur treibenden Kraft für eine fabelhafte Gemeinschaft von Mystikern – deshalb nannten sie ihn Mahaprabhu.
Er erschuf eine Institution namens Anubhava Mandapa – das bedeutet ein Ort, um etwas zu erfahren. Eines Tages forderte ein anderer Yogi, Goraksha, Allama Mahaprabhu heraus, da die Menschen Allama als gottgleich ansahen und ihn verehrten. Goraksha sagte: „Was ist so großartig an dir? Sieh mich an.“ Man sagt, dass Goraksha zu jener Zeit 280 Jahre alt war. Er sprach: „Ich lebe schon ewig, ich bin wie ein Felsen. Was ist besonders an dem, was du tun kannst?“
Allama lächelte und sagte: „Ist das so? Bist du wirklich wie ein Felsen?“ Goraksha sagte: „Versuch es, wenn du willst.“ Er zog ein Schwert mit einer Diamantspitze hervor, gab es Allama und sagte: „Schlag es mit all deiner Kraft auf meinen Kopf. Du wirst sehen, was passieren wird.“ Allama nahm das Schwert in seine beiden Hände und schlug es auf Gorakshas Kopf. Das Schwert prallte von seinem Kopf ab, als wäre es gegen einen Stein geschlagen.

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Allama sagte: „Nun, das ist ziemlich beeindruckend. Aber was nützt das? Sogar der Sinn des Schwertes ist an dir verschwendet. Ein Schwert ist gemacht um zu durchtrennen, aber es kann dich nicht durchtrennen.“ Dann verlangte Goraksha: „Jetzt, da du mich mit dem Schwert geschlagen hast, habe ich ebenso das Recht, dich mit dem Schwert zu schlagen.“
Allama sagte: „In Ordnung.“ Goraksha nahm das Schwert und schwang es. Es ging geradewegs durch Allama hindurch wie durch dünne Luft. Er schwang es wieder und wieder. Es ging direkt durch ihn hindurch, ohne jeglichen Widerstand. Goraksha besaß schließlich die Demut sich niederzubeugen und zu sagen: „Ja, ich habe mich wie einen Felsen gemacht, aber du bist zu nichts geworden. Immerhin kannst du mich mit dem Schwert berühren. Ich aber kann dich noch nicht einmal mit Schwert berühren.“

Amrita und die Zirbeldrüse

Diese Fähigkeiten kommen auf viele verschiedene Arten. Die Symbolik von Shiva, der sich nach Süden wendet, stammt von seinem dritten Auge, das sich nach „Süden“ bewegt. In dem Moment, in dem sich sein drittes Auge zwischen seinen beiden Augen nach unten verlagert hat, sah Shiva Dinge, die noch nie jemand gesehen hatte. Dies ist ein Aspekt von Kayakalpa. Obwohl es nicht ganz richtig ist es so zu sagen, und da wir der heutigen Logik Rechnung tragen müssen, möchte ich es so formulieren: Es gibt verschiedene Aspekte von Sadhana, bei denen es darum geht, die Zirbeldrüse ein wenig nach unten zu bewegen, oder nach „Süden“, wie wir sagen.

Wenn wir Yoga machen, fokussieren wir uns mehr auf das Muladhara als auf irgendetwas anderes, denn wenn man das stabilisiert, ist das Übrige einfach zu erzeugen.

Wenn dies auf eine bestimmte Art geschieht, können die Sekrete der Zirbeldrüse, die wir im Yoga als Amrita bezeichnen, entweder dazu genutzt werden, das System zu stärken und seine Langlebigkeit zu erhöhen, oder um Glückseligkeit im System zu erschaffen – es kann dich einfach umhauen. Oder du kannst dieses Amrita dazu benutzen, deine Wahrnehmung zu verbessern, um wie dünne Luft zu werden, weil alles durch dich hindurchgeht.

Im Moment strömt die Luft nur durch deine Nasenlöcher und du weißt, wenn sie nicht durchströmt, bist du weg. Aber einige von euch haben das vielleicht in einem Moment erlebt, in dem ihr unbekümmert und freudig wart – ihr seid in der Brise gestanden und es fühlte sich so an, als ob die Luft durch euch hindurchströmen würde. Wenn du dein Amrita benutzt, um Sensibilität in das System zu bringen, kannst du einhundert Prozent transparent werden.

Dies sind drei grundlegende Arten, die Sekrete der Zirbeldrüse zu nutzen. Eine ist, den Körper zu stärken und ihn wie einen Felsen zu machen, was dir eine Langlebigkeit beschert, die von den meisten als übermenschlich wahrgenommen wird. Eine andere Möglichkeit ist, einen derartigen Grad an Trunkenheit und Glückseligkeit in dir zu erzeugen, dass es dich nicht kümmert, wie lange du lebst. Eine dritte besteht darin, dich wie dünne Luft zu machen, so dass deine Wahrnehmung extrem hochgefahren wird, weil es in deinem System absolut keinen Widerstand gibt.

Meisterschaft über das Muladhara Chakra

Kayakalpa verwendet größtenteils dieses Amrita um den Körper zu stärken und seine Langlebigkeit zu erhöhen. Wenn du einmal wie ein Felsen geworden bist, wenn du dich mit der physischen Realität identifizierst, wirst du immer in Vergleichen denken – wer oder was ist größer oder kleiner, überlegen oder unterlegen, besser oder schlechter. Du wirst dich vergleichen, weil das die Natur der physischen Realität ist. Nur wenn du die physische Realität transzendierst, kannst du frei von diesen Vergleichen sein.

Die Yogasysteme haben sich immer auf das Muladhara Chakra fokussiert.

Aber dieses Amrita oder Sekret der Zirbeldrüse kann auch deine Wahrnehmung verbessern. Wenn du deine Wahrnehmung nicht verbesserst, wird sich auch dein Leben in keiner Weise wirklich verbessern. Nur ein menschliches Wesen ist in der Lage zu erkennen, dass bloßes Existieren nicht ausreichend ist. Keine der anderen Kreaturen, von einer Amöbe bis hin zu einem Elefanten, hat das realisiert, weil das nicht in ihrer Natur liegt. Sie sind der Ansicht, dass ihre Existenzweise ausreichend ist. Nur ein menschliches Wesen kann wissen – nicht, dass jeder dies tut –, dass einfach nur zu existieren nicht ausreichend ist, dass etwas anderes passieren muss. Deshalb sind das Muladhara und das Sadhana dafür sehr wichtig für deine Existenz.

Das Muladhara Chakra bringt Gleichgewicht

Wenn sich Gnade übertragen soll, brauchst du einen geeigneten Körper. Wenn du keinen geeigneten Körper hast und sich Gnade im Überfluss über dich ergießt, wirst du durchbrennen. Viele Menschen wollen große Erfahrungen, sind aber nicht bereit, ihren Körper zu transformieren, um derartige Erfahrungen machen zu können.

Du wirst diese Fähigkeit, dich zu jeder Zeit in alle möglichen riskanten Abenteuer zu stürzen nur dann erlangen, wenn dein Muladhara gut etabliert ist.

Unglücklicherweise haben so viele auf der Welt ihren Verstand verloren oder ihre Körper gebrochen, weil sie auf die Jagd nach Erfahrungen gingen. Im Yoga jagt man nicht Erfahrungen hinterher, man bereitet sich nur vor. Die Yogasysteme haben sich immer auf das Muladhara Chakra fokussiert. Nur in letzter Zeit haben nicht praktizierende „Yogis“ Bücher geschrieben und behaupten darin, man müsse sich auf höhere Chakren fokussieren.

Dieses Gerede von hoch und niedrig ist in bücherlesenden Köpfen nur allzu fest verankert, aber so funktioniert das Leben nicht. Vor einigen Jahren leitete ich zwei- oder dreitägige Kursprogramme in Hatha Yoga. Allein durch das Üben der Asanas würden die Menschen in Ekstase ausbrechen.

Die meisten Yogis benutzen lediglich ein paar einfache Stellungen, um die Begrenzungen dessen, wer sie sind, zu durchbrechen. So ist Hatha Yoga. Hatha Yoga bedeutet Gleichgewicht. Gleichgewicht bedeutet nicht Vernunft. Wenn du willst, dass dein Leben überschwänglich ist, dann brauchst du etwas Verrücktheit in dir. Aber wenn du zwanghaft verrückt wirst, dann hast du den Weg verloren.

Wenn wir über Gleichgewicht sprechen, sprechen wir nicht über Vernunft. Wir sprechen darüber, zwischen Vernunft und Wahnsinn den Platz zu finden, an dem du etwas riskieren und ein Abenteuer wagen kannst. Verrücktheit ist ein Abenteuer. Es ist die wundervollste Sache, solange sie unter Kontrolle ist. Wenn du die Kontrolle verlierst, wird es hässlich werden. In gleicher Weise ist Vernunft eine schöne Sache, aber wenn du vollkommen vernünftig wirst, bist du so gut wie tot. Du wirst diese Fähigkeit, dich zu jeder Zeit in alle möglichen riskanten Abenteuer zu stürzen nur dann erlangen, wenn dein Muladhara gut etabliert ist.

Editor's Note: In einem kurzen Video über das geheime Wissen der Yogis erläutert Sadhguru die Bedeutung der Zahl 108, die eng mit den Chakren verbunden ist.