Anlässlich des Weltkindertages, der in Indien am 14. November gefeiert wird, untersucht Sadhguru, wie sich die formale Bildung heute nur auf einen Aspekt der menschlichen Intelligenz fokussiert und warum sich dies sofort ändern muss.

Sadhguru: Heute geht es in der Welt nicht mehr um Menschen, sondern um den Wirtschaftsmotor, den wir aufgebaut haben. Er ist größer geworden als wir, und wir haben Angst, ihn auch nur für einen Moment anzuhalten, so dass wir den Motor die ganze Zeit laufen lassen müssen. Leider dreht sich Schulbildung inzwischen hauptsächlich um die Herstellung von Zahnrädern für diese Maschine. Wir können nicht zulassen, dass die Maschine ausfällt, und so sind unsere Kinder zu den Ersatzteilen und dem Treibstoff geworden, die wir brauchen, um sie am Laufen zu halten.

Es gibt Studien, die besagen, dass siebzig Prozent der Intelligenz eines Kindes unwiderruflich zerstört werden, wenn es zwanzig Jahre formale Bildung durchläuft und mit einem Doktortitel herauskommt. Im Grunde genommen halten wir fälschlicherweise Informationen für Bildung. Wenn man das Gehirn mit zu vielen Informationen abstumpft, geht die Möglichkeit der Intelligenz definitiv verloren. Was wir ansammeln und wer wir sind, sollte getrennt bleiben. Wer ich bin, sollte nicht von dem beeinflusst werden, was ich angesammelt habe – seien es materielle Objekte, Informationen oder Eindrücke.

Der Zweck von Bildung

Der Zweck von Bildung ist es, den Horizont des einzelnen Menschen zu erweitern. Aber das ist im Moment an den meisten Orten definitiv nicht der Fall. Wenn die Menschen gebildet werden, kommen sie praktisch mit niemandem aus! Diejenigen, die nicht so gebildet sind, können zusammenleben. Aber sobald man gebildet wird, wird man isoliert, denn das ist die Natur des Intellekts. Und Schulbildung basiert heute ausschließlich auf dem Intellekt. Es gibt darin keine andere Dimension der Intelligenz. Den Intellekt mit Intelligenz zu verwechseln, ist ein schwerer Fehler. Es ist, als würde man versuchen, sein Auto auf einem einzigen Rad zu fahren, anstatt auf allen vier.

Verwechsle den Intellekt nicht mit Intelligenz

Der Intellekt kann nur mit der Unterstützung deiner Erinnerung funktionieren. Oder mit anderen Worten: Dein Intellekt arbeitet mit gesammelten Informationen. Wenn deine Erinnerung entfernt wird, ist dein Intellekt allein ziemlich nutzlos. Aber es gibt andere Dimensionen der Intelligenz in dir, die nicht die Unterstützung der Erinnerung benötigen. Wenn sich die Bildungssysteme nicht darauf fokussieren, diese Dimensionen der Intelligenz zu aktivieren, wird es zwar Arbeitskräfte, aber keine Genies geben.

Wie kann das Bildungssystem verändert werden?

Aber mehr noch als die Systeme selbst müssen wir diejenigen verbessern, die das System bereitstellen. Wenn wir dies tun, wird jedes System gut funktionieren. Wenn wir an den zukünftigen Generationen interessiert sind, müssen weltweit die besten Leute einer Lehrtätigkeit nachgehen. Was ein Kind braucht, ist Inspiration, nicht bloße Information. Wir müssen die Vorstellung des Unterrichtens vollständig aus dem Lehrprozess herausnehmen.

Du bist nur dann der Ansicht, jemanden unterrichten zu müssen, wenn du angenommen hast, dass sie weniger intelligent sind als du selbst, was ein schwerer Fehler ist. Es gibt genügend wissenschaftliche Daten, die zeigen, dass ein Dreißigjähriger nicht so intelligent ist wie ein Kind, bevor es überhaupt in die Schule geht. Der einzige Grund, warum wir klug erscheinen, ist der, dass wir mehr Informationen haben als das Kind, womit wir durch Unterricht zu prahlen versuchen. Anstelle des Unterrichtens müssen wir die Lehrer befähigen, zu inspirieren und das zu vermitteln, was ihnen wirklich wichtig ist. Dann würde ein Kind ganz sicher aufrecht sitzen und zuhören, und jedes Schulsystem könnte ein fruchtbarer Prozess werden.

Intelligenz muss nicht beeinflusst werden, sie muss entzündet werden.

Intelligenz muss nicht beeinflusst werden, sie muss entzündet werden. Der Zweck der Bildung besteht darin, die Intelligenz zu dekonditionieren, so dass sie aktiv wird, sich an Situationen anpasst und das tut, was angemessen ist. Das ist das Wesen der Intelligenz. Aber heute versuchen Bildungssysteme, die Intelligenz auf die eine oder andere Weise zu konditionieren. Wenn die menschliche Intelligenz sich selbst zur Geltung bringt, wird jede noch so kleine Sache explodieren und an sich wie ein neuer Kosmos sein. Das ist es, wozu der Mensch hier ist – um das Leben auf eine Weise zu erweitern, wie es keine andere Kreatur kann. Aber im Moment ist nur wichtig, was unserem Wirtschaftsmotor dient. Was einem mehr Geld einbringen wird, ist die grundlegende Frage geworden. Wenn wir das nicht aus unserem Bildungssystem entfernen, wird es nur eine Produktionsstätte sein, keine Bildung.

Bildung ist keine Produktionsanlage. Sie ereignet sich organisch. Man kann kein Bildungssystem schaffen, das unabhängig von der Gesellschaft ist, in der wir existieren. Sind wir als Gesellschaft dazu willens, ein Ökosystem zu kultivieren, in dem ein Kind auf die bestmögliche Weise aufwachsen kann? Dies ist eine Frage, die wir uns alle stellen sollten. Werden wir das tun, was uns gefällt, oder werden wir uns bewusst sein, wie sich jede unserer Handlungen auf künftige Generationen auswirken wird? Es ist sehr wichtig, dass wir uns damit befassen, denn die Erziehung eines Kindes ist nicht nur die Sache eines Lehrers, Elternteils oder einer Schule – sie liegt in der Verantwortung der gesamten Gesellschaft.

Editor's Note: In diesem Ausschnitt aus einem Podiumsgespräch über Erziehung geht Sadhguru außerdem auf die drei Schulformen ein, die er entsprechend den gesellschaftlichen Notwendigkeiten in Indien gestaltet hat.