Der Oscar-prämierte Filmemacher Shekhar Kapur fragt Sadhguru, was Freiheit wirklich ist. Sadhguru erklärt, dass Spiritualität im Wesentlichen bedeutet, sich auf die ultimative Freiheit zuzubewegen und alles zu durchbrechen, was uns einschränkt…

Shekar Kapur: Sadhguru, du hast oft gesagt, dass das höchste Ziel die Freiheit ist. Freiheit von was?

Sadhguru: Wenn man vor 1947 in Indien generell von „Freiheit“ sprach, dachten die Leute nur: „Wenn die Briten weggehen, sind wir frei.“ Das war die Idee der Freiheit zu dieser Zeit. Die Briten gingen weg. Sind wir jetzt frei? Nicht wirklich. Politisch frei – ja. Aber auf keine andere Weise sind wir wirklich frei. Freiheit kann also für verschiedene Menschen unterschiedliche Dinge bedeuten, abhängig vom Kontext ihres individuellen Lebens zu einem bestimmten Zeitpunkt.

Aber abgesehen von den politischen, wirtschaftlichen und anderen Aspekten der Freiheit, siehst du, dass wir als menschliche Wesen, als ein Teil der Existenz, im Grunde innerhalb gewisser Grenzen leben? Dass du ein begrenztes Wesen bist? Siehst du auch, dass sich ständig etwas in dir danach sehnt, ein bisschen mehr zu sein als das, was du bist?

Shekar Kapur: Ja.

Sadhguru: Es gibt etwas in dir, das keine Begrenzungen verträgt. Oder mit anderen Worten, es gibt etwas in dir, das grenzenlos werden möchte. Was kann grenzenlos sein? Eine physische Form kann klein oder groß sein, aber niemals grenzenlos. Es gibt etwas in dir, das sich danach sehnt, eine Dimension zu erreichen, die jenseits des Physischen liegt.

Es gibt etwas in dir, das sich danach sehnt, spirituell zu sein. „Spirituell“ bedeutet nicht, nach oben oder nach unten zu schauen oder zu beten oder in den Tempel zu gehen. „Spirituell“ bedeutet im Wesentlichen, dass du in einer Erfahrung bist, die jenseits der Grenzen des Physischen liegt. Das bedeutet, dass du dich in einem grenzenlosen Raum befindest. Diese Sehnsucht ist immer in jedem Menschen vorhanden. Entweder näherst du dich dem Schritt für Schritt, oder du gehst bewusst auf das Ultimative zu.

Shekar Kapur: Warum ist dann das Ultimative in meinem Verstand so verschwommen? Warum kann ich es mir nicht vorstellen? In dem Moment, wo du über etwas Messbares sprichst, kann ich es mir vorstellen. Aber wie strebe ich nach etwas, das ich mir nicht vorstellen kann?

Sadhguru: Deshalb solltest du nie nach etwas streben, das du dir nicht vorstellen kannst, das du nicht kennst. Wenn du frei werden willst, solltest du nie an Freiheit denken. Schau nur auf die Seile, die dich binden.

Wenn du diese Seile die dich binden durchtrennst, gibt es ein gewisses Gefühl von Freiheit. Dann erkennst du, dass es noch einen weiteren Satz Seile gibt, die dich binden. Wenn du sie durchtrennst, ist Freiheit da. Aber dann stellst du fest, dass es noch ein weiteres Bündel gibt. Es spielt keine Rolle, wie viele Bündel von Seilen dich binden, es muss einen Punkt geben, an dem, wenn du genügend von ihnen durchtrennt hast, dich nichts mehr bindet, richtig? Die Anzahl mag groß sein, aber trotzdem kann sie nicht unendlich sein.

Nur Freiheit kann unendlich sein. Die Gebundenheit kann nicht grenzenlos sein. Nur Freiheit kann grenzenlos sein. Das sind nicht nur Ideen und Wortklaubereien. Im Hinblick auf die Erfahrung des Lebens sollte man seine Zeit nicht damit verschwenden, über Freiheit oder das Ultimative zu sprechen oder darüber nachzudenken. Der Körper ist eine Begrenzung, der Verstand ist eine Begrenzung, Emotionen sind Begrenzungen – aber sie sind auch Möglichkeiten. Sieh dir an was dich jetzt bindet, und wie du das transzendieren kannst. Das ist Wachstum.

Editor's Note: In einem ähnlichen Kontext steht die Frage, ob man zu Gott beten sollte. Sadhgurus überraschende Antwort findest du in diesem Video.
Der Artikel basiert auf einem Auszug aus der englischsprachigen Monatszeitschrift „Forest Flower“. Inzwischen ist sie in aufwendig gestalteter digitaler Form verfügbar. Unter diesem Link kannst du dich dafür anmelden.