Sadhguru: Jemand hat dir gesagt: „Ich denke, also bin ich.“ Ist das wirklich wahr? Nur deshalb, weil du existierst, kannst du einen Gedanken erzeugen, nicht wahr? Dein Denkprozess ist so zwanghaft geworden, und dein Fokus hat sich so sehr von deiner Existenz auf deine Gedanken verlagert, dass du jetzt anfängst zu glauben, dass du existierst, weil du denkst. Selbst ohne deine dummen Gedanken ist die Existenz da. Was kannst du denn wirklich denken? Nur den Unsinn, den du gesammelt und recycelt hast. Kannst du etwas anderes denken als das, was deinem Kopf eingetrichtert wurde? Alles, was du tust, ist, altes Datenmaterial zu recyceln. Dieses Recycling ist so wichtig geworden, dass Menschen es sogar wagen zu sagen: „Ich denke, also bin ich.“ Und das ist zur Lebensweise der Welt geworden.

Ein lebendiges oder denkendes Wesen

Weil du bist, kannst du denken. Wenn du willst, kannst du ganz da sein und trotzdem nicht denken. Die schönsten Momente in deinem Leben – Momente des Glücks, Momente der Freude, Momente der Ekstase, Momente absoluten Friedens – waren Momente, in denen du an nichts gedacht hast. Du hast einfach gelebt.

Willst du ein lebendiges Wesen oder ein denkendes Wesen sein? Im Moment denkst du 90% der Zeit nur über das Leben nach, du lebst das Leben nicht. Bist du hierher gekommen, um das Leben zu erleben, oder um über das Leben nachzudenken? Jeder kann sich seinen eigenen Unsinn ausdenken, wie er will; es muss nichts mit der Realität zu tun haben. Dein psychologischer Prozess ist ein sehr kleines Ereignis verglichen mit dem Lebensprozess, aber gerade jetzt ist er weitaus wichtiger geworden. Wir müssen die Bedeutung des Lebensprozesses wieder in den Vordergrund rücken.

Aristoteles gilt als Vater der modernen Logik; seine Logik war makellos. Er war intellektuell brillant, keine Frage, aber er versuchte, die Logik auf alle Aspekte des Lebens auszudehnen, und in vielerlei Hinsicht war er verkrüppelt.

Es gibt eine Geschichte, von der ich nicht weiß, ob sie wahr ist, aber sie klingt wahr. Eines Tages ging Aristoteles am Strand spazieren. Ein herrlicher Sonnenuntergang war im Gange, aber er hatte keine Zeit für solche belanglosen täglichen Ereignisse. Er dachte ernsthaft über ein großes Problem der Existenz nach, denn für Aristoteles ist die Existenz ein Problem, und er glaubt, dass er es lösen wird. Ernsthaft nachdenkend ging er am Strand auf und ab. Da war noch ein Mann am Strand, der sehr intensiv etwas tat – so intensiv, dass selbst Aristoteles ihn nicht ignorieren konnte.

Weißt du, Menschen, die zu viel über ihren eigenen Unsinn nachdenken, ignorieren das Leben um sie herum. Das sind die Menschen, die niemanden anlächeln und niemanden auf der Welt auch nur ansehen. Sie haben keine Augen, um eine Blume, einen Sonnenuntergang, ein Kind oder ein lächelndes Gesicht zu betrachten – oder wenn es ein nicht lächelndes Gesicht ist, haben sie keine Neigung, es zum Lächeln zu bringen; sie haben keine solcher kleinen Pflichten oder kleinen Sorgen in der Welt! Sie ignorieren das Leben um sich herum, weil sie alle damit beschäftigt sind, die Probleme der Existenz zu lösen.

Aber Aristoteles konnte diesen Mann nicht ignorieren, und er beobachtete genau, was er tat: Dieser Mann ging zum Meer, kam zurück, ging zum Meer, kam zurück, und das alles mit großer Intensität. Also hielt Aristoteles an und fragte: „Hey, was hast du vor?“
Der Mann sagte: „Störe mich nicht, ich erledige gerade etwas sehr Wichtiges“, und machte weiter und weiter.
Aristoteles wurde nur noch neugieriger und fragte: „Was machst du da?“
Der Mann sagte: „Störe mich nicht, etwas sehr Wichtiges.“
Aristoteles fragte: „Was ist das für eine wichtige Sache?“
Der Mann zeigte ein kleines Loch, das er in den Sand gegraben hatte, und sagte: „Ich entleere den Ozean in dieses Loch.“ Er hatte einen Esslöffel in der Hand.
Aristoteles sah sich das an und lachte. Nun, Aristoteles ist jemand, der ein Jahr verbringen kann, ohne einen einzigen Moment zu lachen, weil er ganz Intellekt ist. Es braucht ein Herz um zu Lachen. Der Intellekt kann nicht lachen, er kann nur sezieren.
Aber selbst Aristoteles hat darüber gelacht und gesagt: „Das ist lächerlich! Du musst verrückt sein. Weißt du, wie gewaltig dieser Ozean ist? Wie kannst du jemals diesen Ozean in dieses kleine Loch leeren? Und das auch noch mit einem Esslöffel? Wenn du wenigstens einen Eimer hättest, gäbe es eine kleine Chance. Bitte hör auf damit, das ist Wahnsinn, das sage ich dir.“
Der Mann sah Aristoteles an, warf den Löffel hin und sagte: „Meine Arbeit ist bereits getan.“
Aristoteles fragte: „Was meinst du? Vergiss das mit dem leeren Ozean; nicht einmal das Loch ist voll. Wie kannst du sagen, dass deine Arbeit getan ist?“
Der andere Mann war Heraklit. Heraklit stand auf und sagte: „Ich versuche, mit einem Esslöffel den Ozean in dieses Loch zu leeren. Du sagst mir, dass es lächerlich ist, dass es Wahnsinn ist und dass ich es aufgeben sollte. Was versuchst du zu tun? Weißt du, wie gewaltig diese Existenz ist? Sie kann eine Milliarde solcher Ozeane und mehr enthalten, und du versuchst, es in das kleine Loch deines Kopfes zu leeren – und womit? Mit Esslöffeln, die Gedanken heißen. Bitte gib es auf. Es ist absolut lächerlich.“

Wenn du die Erfahrungsdimensionen des Lebens kennenlernen willst, wirst du sie niemals mit belanglosen Gedanken kennenlernen. Es spielt keine Rolle, wie gut du denken kannst, das menschliche Denken ist immer noch belanglos. Selbst wenn du Einsteins Gehirn in dir arbeiten hast, ist es immer noch belanglos, denn Gedanken können nicht größer sein als das Leben. Gedanken können nur logisch sein und zwischen zwei Polaritäten funktionieren. Wenn du das Leben in seiner Unermesslichkeit erkennen willst, brauchst du etwas mehr als deine Gedanken, etwas mehr als deine Logik, etwas mehr als deinen Intellekt.

Das ist die Wahl, die du hast: Entweder du lernst, mit der Schöpfung zu leben, oder du erschaffst deine eigene unsinnige Schöpfung in deinem Kopf. Welche Option möchtest du wahrnehmen? Derzeit leben die meisten Menschen in Gedanken, in einem psychologischen Raum, nicht in einem existenziellen Raum. Und deshalb sind sie verunsichert, weil es jeden Moment zusammenbrechen kann.

Der Planet dreht sich voll im Zeitplan. Kein kleines Ereignis. Alle Galaxien sind in bester Ordnung, dem ganzen Kosmos geht es großartig. Aber du hast einen bösen kleinen Gedanken, der dir durch den Kopf geht, und es ist ein schlechter Tag.

Du hast die Freiheit zu denken, was du willst. Warum denkst du nicht einfach angenehme Gedanken? Das Problem ist nur folgendes: Du hast einen Computer, für den du dir nicht die Mühe gemacht hast, die Tastatur zu finden. Wenn du die Tastatur hättest, könntest du die richtigen Wörter tippen, nicht wahr? Du hast keine Tastatur und tippst wie ein Höhlenmensch auf deinem Computer herum, so dass immer wieder die falschen Wörter erscheinen. Versuche das mit deinem Computer; das Ergebnis wird wie eine Obszönität aussehen.

Du hast deine Perspektive des Lebens verloren, weil du denkst, dass du viel mehr bist, als du bist. Im kosmischen Raum bist du, wenn du dich selbst nüchtern betrachtest, weniger als ein Staubkorn, aber du denkst, dass dein Gedanke – der weniger als ein Staubkorn in dir ist – die Natur der Existenz bestimmen sollte. Was ich denke und was du denkst, hat keinerlei Bedeutung. Wichtig ist die Großartigkeit der Existenz – die einzige Realität.

Du hast von dem Wort „Buddha“ gehört. Jemand, der sich über seinen Intellekt erhoben hat, oder jemand, der sich über die differenzierende und logische Dimension seines Lebens erhoben hat, ist ein Buddha. Die Menschen haben Millionen Wege erfunden, um zu leiden. Die Produktionsstätte für all das ist nur in deinem Kopf. Wenn du dich über deinen Verstand erhoben hast, ist das das Ende des Leidens. Wenn es keine Angst vor dem Leiden gibt, gibt es absolute Freiheit. Erst wenn das geschieht, ist der Mensch frei, das Leben jenseits seiner Grenzen zu erfahren. Ein Buddha zu sein bedeutet also, dass du Zeuge deines eigenen Intellekts geworden bist. Die Essenz von Yoga und Meditation ist genau das: Sobald ein klarer Raum zwischen dir und deinem Verstand entsteht, erfährst du eine völlig andere Dimension der Existenz.

Der nächste Schritt

Du kannst diese einfache Übung ausprobieren. Stelle deinen Wasserhahn – oder eine ähnliche Vorrichtung – so ein, dass nur 5 bis 10 Tropfen pro Minute fallen. Versuche, jeden einzelnen Tropfen zu beobachten – wie er sich formt, wie er fällt, wie er auf den Boden platscht. Mach das 15 bis 20 Minuten pro Tag. Du wirst dir plötzlich so vieler Dinge um dich herum und in dir selbst bewusst werden, derer du dir jetzt noch völlig unbewusst bist.

Image courtesy: Aristotle by Francesco Hayez from Wikimedia