Sadhguru: In Indien gibt es für Menschen, die mit dem Mahabharata vertraut sind, eine ganze Kultur, in der Karna eine Art Anti-Held ist. Er ist eine süße Mango, die schlecht geworden ist. Er war ein wundervolles menschliches Wesen, das völlig verdorben wurde, weil er in Bitterkeit investierte. Seine Verbitterung führte ihn in eine katastrophale Lebensgeschichte. Er war ein Mann mit einem phänomenalen Sinn für Integrität und Großzügigkeit, aber all dies ging verloren. Er starb im Kampf auf eine schlimme Weise.

Karna – Ein König von „niederer Geburt“

Er war voller Groll, weil er nicht wusste, wessen Kind er war. Aber die Menschen, die ihn aufgezogen haben, taten dies mit größter Liebe. Seine Pflegeeltern, Radha und Athiratha, liebten ihn über alle Maßen und erzogen ihn sehr gut, so wie sie es konnten. Er erinnerte sich immer daran, wie sehr ihn seine Mutter liebte. „Das ist ein Mensch, der mich so geliebt hat, wie ich bin“, sagt er. Aufgrund seiner Kompetenz und dem Willen des Schicksals wurde er Angaraja – der König von Anga. Er erhielt viele Dinge und bekam einen Posten und einen Platz im Palast. In vielerlei Hinsicht war er auch der Gehilfe eines großen Königs. Duryodhana schätzte ihn und nahm Ratschläge von ihm an. Er hatte alles, was das Leben bieten konnte. Wenn man sich sein Leben ansieht, dann ist es Tatsache, dass er der Sohn eines Wagenlenkers war, der zum König wurde. Er hätte wirklich glücklich sein müssen. Ein Kind, das auf dem Wasser treibend gefunden wird, wächst heran und wird ein König. Ist das nicht eine wunderbare Sache? Aber nein, er hat seine Verbitterung nicht aufgegeben. Er war immer unglücklich und elend, weil er sich nicht damit abfinden konnte, als was man ihn bezeichnete. Überall, wo er hinkam, wurde er wegen seines Ehrgeizes als „suta“ oder „niedriggeboren“ bezeichnet. Sein ganzes Leben lang beklagte er sich darüber. Die ganze Zeit über nährte er in sich Bitterkeit über seine sogenannte niedere Geburt.

Diese Bitterkeit machte aus einem wunderbaren Menschen eine so böse und hässliche Figur im Mahabharata. Er war ein großartiger Mensch und zeigte seine Größe in verschiedenen Situationen, aber wegen dieser Bitterkeit war er es, der in vielerlei Hinsicht alles falsch machte. Für Duryodhana spielte es keine Rolle, was Shakuni sagte oder tat, es war immer Karnas Rat, der das Abkommen besiegelte. Nachdem alles entschieden war, sah er stets Karna an: „Was sollen wir tun?“ Karna hätte der ganzen Geschichte sehr leicht eine andere Wendung geben können.

Tragödie und Opfer

Sein Leben durchlief abwechselnd verschiedene Stadien der Tragödie und der Aufopferung. Er zeigte diesen Sinn für Aufopferung ständig, aber es kam nichts Gutes dabei heraus, denn er wurde von der einen Sache zerstört, die ihm am meisten bedeutete – er wollte jemand sein, der er nicht war, zumindest in der Gesellschaft. Vielleicht war er es in Wirklichkeit tatsächlich, aber was die Gesellschaft anging, wollte er jemand sein, der er nicht war. Aufgrund dieser Besessenheit hat er sich ständig verrannt. Er war ein intelligenter Mann. Er hatte genug Verstand, um zu erkennen, dass das, was Duryodhana tat, falsch war. Aber er war nicht nur ein passiver Teilnehmer, er war ein aktiver Teilnehmer, der Duryodhana anspornte, viele Male. Duryodhanas Leben hätte gerettet werden können, wenn Karna nur seine Intelligenz und nicht seine Loyalität und Dankbarkeit eingesetzt hätte. Er versagte dabei, seine Intelligenz einzusetzen und stolperte fortlaufend von einem schweren Fehler zum nächsten.

Ein Leben voller Irrwege

Als Krishna kam, um um Frieden zu bitten, sprach er zu Karna. „Warum tust du dir das an? Das ist nicht das, was du bist. Lass mich dir sagen, was deine Abstammung ist. Kunti ist deine Mutter und dein Vater ist Surya.“ Plötzlich brach Karna zusammen. Er wollte immer wissen, wer er war und woher er kam. Er wollte immer wissen, wer es war, der ihn in der kleinen Kiste in den Fluss entlassen hatte. Plötzlich wurde ihm klar, dass er aktiv versucht hatte, den Hass auf die fünf Pandavas zu nähren, auch wenn es nicht natürlich war. Aufgrund seiner Dankbarkeit gegenüber Duryodhana glaubte er irgendwo, diese fünf Menschen hassen zu müssen. Obwohl in seinem Herzen kein Hass vorhanden war, schürte er ihn ständig und ging daraus gemeiner als alle anderen hervor. Wenn Shakuni eine gemeine Sache sagte, sagte er die nächste gemeine Sache. Und er hörte nicht damit auf, weil er ständig seinen Hass schürte, um seine Loyalität zu beweisen und dankbar zu sein für das, was Duryodhana für ihn getan hatte. Irgendwo tief in seinem Inneren wusste er, dass alles, was er tat, falsch war, aber seine Loyalität war so stark, dass er es weiterhin tat. Er war ein wunderbarer Kerl, aber er machte fortlaufend Fehler. So ist es in unser aller Leben – wenn wir eine falsche Entscheidung treffen, dauert es zehn Jahre, bis wir uns davon erholen, nicht wahr? Er hat sich nie erholt, weil er zu viele Male die falsche Richtung eingeschlagen hat.

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War Karna gut oder schlecht?

Die Existenz trifft kein Urteil darüber, wer gut oder schlecht ist. Es sind nur gesellschaftliche Umstände, die versuchen, Menschen als gut und schlecht zu beurteilen. Es sind nur einzelne Menschen, die versuchen, dich als gut oder schlecht zu beurteilen. Die Existenz urteilt nie, denn es steht nirgendwo geschrieben, dass eine Sache gut und eine andere Sache schlecht ist. Es ist nur so, dass wenn du die richtigen Dinge tust, dir die richtigen Ergebnisse widerfahren. Wenn du nicht die richtigen Dinge tust, passieren dir nicht die richtigen Dinge. Ich denke, das ist vollkommen fair. Alle Karna-Fans meinen, es ist unfair, dass er so viel durchmachen musste. Ich denke, es ist absolut fair. Die Gesellschaft mag nicht fair sein, aber die Existenz ist vollkommen fair – wenn du nicht die richtigen Dinge tust, werden dir die richtigen Dinge nicht passieren. Wenn die Existenz nicht so wäre, gäbe es keinen Wert dafür, das Richtige zu tun, oder für die menschliche Intelligenz. Nichts von dem, was wir in unserem Leben schätzen, wäre wertvoll, wenn man das Falsche tun könnte und einem trotzdem das Richtige widerfahren würde. So funktioniert das Leben nicht.

Editor's Note: Im folgenden Artikel erklärt Sadhguru am Beispiel des Mahabharata-Epos, wie es für uns tatsächlich möglich werden kann, aus der Geschichte zu lernen.